Lateinamerika gilt als die gefährlichste Region für Aktivist*innen, die sich für Menschen- und Umweltrechte einsetzen. Jährlich werden hunderte Menschen kriminalisiert, verfolgt oder ermordet, weil sie sich für Landrechte, Umweltschutz oder die Rechte von Minderheiten engagieren. Im ländlichen Raum finden die Konflikte dort statt, wo Unternehmen Rohstoffe abbauen, Staudämme errichten oder Wälder roden. Auch deutsche Unternehmen und Banken sind daran häufig beteiligt. In den Städten Lateinamerikas ist das Engagement gegen Polizeigewalt und Rassismus sowie für Frauen- und Minderheitenrechte oft gleichermaßen lebensgefährlich.
Dennoch nehmen zahlreiche Menschen dieses Risiko in Kauf, setzen sich gegen Unterdrückung und Ausbeutung der Gemeingüter zur Wehr, engagieren sich für soziale Gerechtigkeit und ihr Recht auf Selbstbestimmung. Oftmals sind es Frauen, die ganz vorne stehen und dafür ihr Leben riskieren.
Auch wenn durch die Morde, wie die Fälle von Berta und Marielle zeigen, die einzelnen Menschen für immer zum Schweigen gebracht werden, leben die widerständigen Ideen und Handlungen weiter. Berta Cáceres drückte das zu Lebzeiten treffend mit ihrem berühmten Satz aus: "Ihr habt die Kugel, ich das Wort. Die Kugel stirbt, wenn sie detoniert. Das Wort lebt, wenn man es weitergibt."
Weitere Informationen:
www.globalwitness.org (engl.)
www.peacebrigades.org (engl.)
Berta Cáceres war eine bekannte Umwelt- und Menschenrechtsaktivistin, die sich mit der indigenen Organisation COPINH gegen illegale Bergbau- und Wasserkraftprojekte auf dem traditionellen Land der indigenen Lenca engagierte. Besonders bekannt wurde ihr Widerstand gegen das Agua Zarca-Wasserkraftwerk, das u.a. von europäischen Entwicklungsbanken finanziert wurde und von den deutschen Unternehmen Voith und Siemens mit Turbinen beliefert werden sollte. 2016 wurde sie nach jahrelangen Drohungen und Angriffen ermordet. Ihre Mörder wurden von der Betreiberfirma des Wasserkraftwerks beauftragt.
Weitere Informationen:
Aktuelle Informationen zu Honduras und dem Fall (dt.)
Untersuchungsbericht des Mordes an Berta Cáceres von einer unabhängigen Expert*innen-Komission (engl.)
Marielle Franco war Menschenrechtsverteidigerin und Stadträtin in Rio de Janeiro. Als Schwarze, lesbische Frau und alleinerziehende Mutter setzte sie sich gegen Rassismus und Polizeigewalt in der brasilianischen Metropole ein und engagierte sich für die Rechte von Frauen, LGBTIQ und Favela-Bewohner*innen. 2018 wurde sie zusammen mit ihrem Fahrer Anderson Gomes von Milizen mit einer Waffe des deutschen Rüstungsunternehmens Heckler & Koch ermordet, die ursprünglich an Spezialeinheiten der Polizei geliefert worden waren.
Weitere Informationen:
Artikel über Marielle, ihre Ermordung und ihre Wirkung über den Tod hinaus (dt.)
Statement von Amnesty International (dt.)
Die Morde an sozialen Aktivist*innen, Journalist*innen und Anwält*innen erreichen in Lateinamerika traurige Rekordwerte und übersteigen sogar die Zahlen von Kriegsgebieten. Durch den zunehmenden Rechtsruck der letzten Jahre verschärft sich diese Entwicklungen weiter. Darüber hinaus bestehen in vielen Ländern der Region enge Verbindungen zwischen den staatlichen Sicherheitsorganen, lokalen Politiker*innen, Unternehmen sowie paramilitärischen Strukturen und kriminellen Organisationen. Letztere verüben in diesem Kontext oft die „Drecksarbeit“ für Politik und Unternehmen. Aber es ist auch der Staat selbst, der Repression gegen soziale Bewegungen und Menschenrechtsverteidiger*innen ausübt.
Diese Verflechtungen spielen auch bei der Ermordung von Berta Cáceres und Marielle Franco ein Rolle: Im Fall von Berta wurden mehrere Auftragsmörder und Mittelsmänner inzwischen verurteilt, unter ihnen ehemalige Mitarbeiter des Betreiberunternehmens des Wasserkraftwerks (etwa der Ex-Sicherheitschef des Unternehmens) sowie ein Major der honduranischen Armee. Die ein Jahr nach dem Mord an Marielle festgenommen Tatverdächtigen sind zwei ehemalige brasilianische Militärpolizisten, wobei der mutmaßliche Schütze in derselben Wohnanlage lebt, in der auch der aktuelle rechtsradikalen Präsidenten Brasiliens Jair Bolsonaro sein Haus hat.
Deutsche Unternehmen sind weltweit tätig - sie liefern die Maschinen für Bergbauprojekte, Pestizide für die Felder der Agrarindustrie und Waffen (vermeintlich nicht in Krisen- und Kriegsgebiete). Immer wieder werden Menschenrechtsverletzungen in dem Umfeld ihrer Aktivitäten dokumentiert.
Die Turbinen für das Agua Zarca-Wasserkraftwerksprojekt sollte VoithHydro liefern, ein Joint Venture von den deutschen Unternehmen Voith und Siemens. Obwohl sie wiederholt auf Menschenrechtsverletzungen im Umfeld des Projekts hingewiesen wurden, hielten sie auch noch Monate nach dem Mord an Berta Cáceres an dem Liefervertrag mit der Betreiberfirma fest. Die Waffe, mit der Marielle Franco ermordet wurde, war ein Fabrikat des deutschen Waffenherstellers Heckler & Koch, die an Sondereinheiten der brasilianischen Polizei geliefert worden waren. Trotz deutscher Waffenexportkontrolle gelangte sie in die Hände von Milizen.
Weitere Informationen:
Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre (dt.)
Studie zu europäischen Unternehmen und Banken im Wasserkraftgeschäft (dt.)
Hintergründe zu deutschen Waffenexporten (dt.)